
Viele Jahre kamen die Worte über meine Lippen: Das kann doch nicht wahr sein. Häufig fühlte ich mich fremd im Leben und in mir, nur konnte das wegen genannter menschlicher Eigenschaft sehr gut überspielt werden. Da kam mir dann Omas erstes Gesangbuch ganz recht. Kirche hieß nun das Ziel des Jungen. Das war irgendwie alles sehr spannend. Und später, zur Konfirmation, bekam ich eines mit goldenem Namen in schwarzes Leder eingeprägt. Heute wüßte ich gerne, wo das abgeblieben ist. Und so, wie sich das gute Büchlein verlor, so verlor sich später auch die Kirche. Vom Elternhaus genoß ich glücklicherweise hierin alle Freiheiten. Heute möchte ich zum Danke an diese Freiheit sagen: Die Bibel wird in Zukunft nur noch der Erinnerung dienen, welche Irrtümer in der Vergangenheit begangen wurden. Und vor allem, daß wiederholte Irrtümer in der Folge geradezu gravierende Fehler sein können. Der Grund dafür liegt darin: Im Himmel hat es wahre Entwicklung gegeben, auf der Erde nur mehr Fortschritt.
Die Oma ahnte, wem sie das Büchlein schenkte. Und auch sonst war ich zuvor viel mit ihr umhergezogen. Lustig waren für mich immer die Altennachmittage, wo fremde Kinder zusammenkamen und wir uns reich austollen durften. Das gab mir viel an ausgelassener Leichtigkeit. Zudem linderte es den Umstand, daß von den fernen düsteren Wolken weithin nichts zu ahnen war. Später wurde dann klar: Wenn das Licht nicht mehr deutlich zu sehen ist und die Dunkelheit zunimmt, bekommen alle Farben einen grauen Ton, der sich auch auf die Stimme legt. Obendrein lag die Eigenschaft, in den Träumen über Hindernisse zu fliegen, längst am Boden. Es hat mich schwer bedrückt, wie zunehmend bleiern das Leben wurde, und die eigenen Empfindungen von mal zu mal unschärfer wurden. Was ist das bloß für ein Leben, dachte ich, das so mit den Menschen umgeht? Und irgendwann spürte ich etwas von der fremden Ungewißheit, von der die Oma wohl ahnte, daß diese kommende Zeit mir viel abverlangen wird.
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