
Ich sehe, daß ich nie die Achtung hatte, die ich dir hätte entgegenbringen sollen, und ich weiß, daß ich nie Vertrauen zu dir hatte, das Vertrauen, das erforderlich gewesen wäre, um ehrlicher Liebe die Kraft zu schenken, frei und unbeschwert zwischen uns wachsen zu dürfen. Oft habe ich dir Dinge anvertraut, die von Lippen wiederholt wurden, für deren Ohren sie nicht bestimmt waren. Wie ein schwarzer Faden hat sich das durch mein Leben gezogen, und hat mich irgendwann in meiner Haltung eingeschnürt. Und seither warst du die Mahnung des Mißtrauens für mich. Und jetzt? Jetzt, wo das Leben sich vorbereitet, für immer zu gehen, frage ich mich: Kann man das jemals zurückholen – und so weit durchleben, daß es irgendwann beendet ist? Wenigstens wünschte ich mir das; und ich kann nicht darauf warten und hoffen, daß die Gezeichnete vor mir das tut. Zudem kann ich das sowieso niemandem überlassen. Wieder einmal muß ich es tun. Das war nie anders.
Es ist nicht schwer, den Faden wieder zu finden, aber das Berühren schmerzt. Eine offene Wunde, die sich ständig neuen Reizen ausgesetzt sieht. Wieviel wurde bereits vermieden? Unser Umgang ließ doch oft viel zu wünschen übrig, und die meiste Zeit unseres Beisammenseins haben wir uns mehr oder weniger abgelehnt. Das wiederum haben wir kaschiert und das Leben mit Nichtssagendem interessant gestaltet. Heute weiß ich, daß mein unausgedrückter Ärger stets diesen Umstand zum Anlaß nahm, dir häufig mit versteckten Vorwürfen, aber auch mit offen aufblitzender Aggression entgegenzutreten, weil ich mich so häufig von dir nicht gesehen, oder mehr noch: mich getäuscht fühlte. Es tut mir leid.
Ein Leben lang hatte ich das Gefühl, daß dir das alles egal ist, daß dich das nicht im geringsten interessiert, daß alles spurlos an dir vorübergeht. Bitte, ich möchte nicht ungerecht sein. Jetzt schon gar nicht. Auch ich kann nicht sehen, wo mein Blick verstellt ist und wo etwas zu lösen ist. Doch die Entwicklung zeigt nun leichte Veränderungen, sind wir doch ein wenig gelöster als früher. Wir versuchen es. Zwei von lebenslanger Arbeit verbrauchte, faltige Hände werden nun zum ersten mal von bewegungslosen Händen des Mißtrauens berührt. Ein sanftes Streicheln… Was für ein bitterer, wunderschöner Moment…
Views: 1558