Schattenkind

Schattenkind

Es war nicht leicht, den alten, verbrauchten Glauben zurückzulassen. Denn jener hielt mich wie programmiert, um gleich neu zu vertrauen. Doch nach und nach, in langsamer Annäherung, konnte ich immer mehr sehen. Da zierte sich nicht mehr ein herrlich schöngeredetes Dasein, da stand plötzlich eine verbitterte und aufs äußerste bemitleidenswerte Schattin vor mir, die nicht mehr wußte, wie es je weitergehen soll. Wohin am Scheideweg? Oft hörte ich davon, daß einen etwas herunterzieht. Dabei war es gar nicht dieser Schatten, wie ich später sah. Es waren die beklemmenden Thesen vieler, die diesen Schatten als Schatten sehen und ihn als solchen verurteilen und verhindern wollen; das hat mich geängstigt: Die entstellten krummen Ansichten Ewiggestriger, sie waren oder sind die Ursache des eigentlichen, wahren dunklen Abgrunds. Was davon leben möchte, dem muß Leben ermöglicht werden. Ich brauche dazu die Auseinandersetzung, die sich daraus ergibt, auch damit ich irgendwann einmal erfahre, was es mit Bestimmung, Schicksal und Zufall auf sich hat.

Wer fürchtet sich nicht vor seiner dunklen Seite? Nur weil sie nicht angenommen wurde und am Leben teilhaben durfte wie die anderen, bewußteren Teile, erscheint sie dunkel. So lebe ich nun Schritt für Schritt das Zusammentragen einzelner dunkler Teilchenbilder zu einem Ganzen. Und ich fürchte mich oft genau so, wie diese ängstlichen Teile sich fürchten. Sie alle sollen einmal in freudigen, gelösten Stimmen sprechen; und sie spielen mir dann ihren Wert in mein ehemals verlorenes Leben. Es ist das neue Licht, das sich in einem fühlt, und das will, daß es gesehen und fortan beachtet wird. Und das wird auch an jene alten Muster erinnern: Was erwartest du denn? Was du hast, das weißt du. Was du aber bekommst, weißt du nicht. Dennoch will ich mich nicht mehr redlich ernähren und im Land bleiben, dessen verzehrende Pflicht mir alles Glück erstickt. Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran: Du sollst nicht auf Nummer sicher gehen!

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